Donnerstag, 19. August 2010

Landschaftsmalerei und planetarische Denkweise



Ingrid Pröller - In den Wald hinein.
Galerie Lisi Hämmerle, Bregenz

Die Malerin Ingrid Pröller präsentiert Werke der letzten fünf Jahre in der Bregenzer Galerie Lisi Hämmerle. Landschaftsmotive, Wald, Wasser und Schilf, stehen unter dem Titel In den Wald hinein.

Die Künstlerin komponiert ihre neuen mehrteiligen Landschaftsbilder meist mit überfrachtenden Farbtönen im Bildzentrum, die an den Bildrändern auseinanderweichen und sich auflösen. Schließlich wird die Farbe am Bildrand als Leerfläche substituiert. Unmittelbar durch dieses malerische Spiel von Fülle, Dichte, Leere und Auslassung rollt Pröller ein breites psychologisches Feld von Perzeptionen und Assoziationen aus, die sich mit Begrifflichkeiten und Vorstellungen wie Romantik, Idealismus, Naturalismus und Sensualismus – bis hin zu Melancholie –, Mystik oder Magie verbinden lassen. Suchen wir nach kunsthistorischen Erklärungen und Interpretationen, so manifestiert sich als denkbarer Anhaltspunkt der Stimmungsimpressionismus von Gustav Klimt, nicht zuletzt durch das Übernehmen von Klimts akzentuiertem Auftragen von Gold als Farbe in manchen ihrer Bilder. Daher drängt sich die Frage auf, ob Pröller im Wesentlichen bloß auf einen postimpressionistischen Kanon zurückgreift oder es ihr gelingt, mit malerischen Mitteln eine produktive metaphorische Sichtweise auf ein aktuelles Landschaftsbild innovativ umzusetzen.

In ihren Bildern wirkt nichts versteinert, die Bildhaftigkeit oszilliert zwischen Fiktion und Vorstellung. Zwiespältigkeiten, hervorgerufen von Leere und Fülle, und sowohl kräftige, frenetische als auch zarte und pastellfarbige Farbtöne dominieren das Geschehen im Bild. Diese Art und Weise von Malerei zieht den Betrachter ins Bild „hinein“ und löst damit bewusst oder unbewusst einen kreativen Akt aus. Die Künstlerin konstruiert und malt Trugbilder, wodurch neue individuelle Phantasmen im Rezipienten in Gang gesetzt werden. Die Philosophin Eva Schürmann interpretiert diesen Prozess als eine Form von Bildermachen durch imaginäres Sehen „Die Einbildungskraft ist zugleich Leere und Fülle, Überschuss und Mangel, hervorbringend und zerstörerisch, Weltgewinn und Weltverlust, das eine ist ohne das andere nicht zu haben.“ (Schürmann, 2008)

In Pröllers neueren Bildern werden Motive aus der Jugend- und Sportkultur mit den fiktiven Landschaftsdarstellungen verknüpft. Die Figuren sind umschlugen von dem satten und unkonventionellen Landschaftsbild, trotzdem wirken die Körper isoliert und erwecken einen befremdend abweisenden Eindruck. Dieser wird unterstützt durch den Effekt von gemalter Montage der Figuren, die in eine phantastisch anmutende Welt gleichsam „eingepflanzt“ sind: Es besteht keine Blickbeziehung zwischen Figur und Landschaft. Das wiederum konstruiert für unser Wahrnehmungsvermögen jedoch eine ungewöhnliche und nicht auszuschöpfende Spannung, als wären wir, die Betrachter, zufällig auf eine unbekannte Geschichte gestoßen. Dieses verzaubernde narrative Element tritt in dem großformatigen Diphtychon Lichtung zutage. Die Abgewandtheit, Isoliertheit und das Losgelöst-Sein von der Landschaft, hier vom gegenüberliegenden Waldinneren, wird durch die ruhige Handlung – ein sitzendes und schreibendes Mädchen – eindringlich verdeutlicht.

Neben den emphatischen narrativen Implikationen in der Motivauswahl wie Jugendkultur und Sport, die sonst vorwiegend als Topoi in den Massenmedien reflektiert werden, wirft Pröller eine brisante anthropologische Perspektive mit ihren „Naturstücken“ auf, nämlich die Fragestellung des Dualismus zwischen Natur und Kultur mittels ihrer Bildsprache zu explizieren. Dazu soll hier auch auf Ingrid Pröllers Werkkatalog (2008) mit dem Titel „Body & Soul“ verwiesen werden. Ob tatsächlich der Separatismus zwischen Körper und Seele gezielt in Frage gestellt wird, bleibt in der Schwebe. Allerdings deuten diese neuen Bildwerke wie Naturstück 1-3 (2010), Schilfbruch, Triptychon (2009) und vor allem die Landschaften mit Figuren im Bild wie Lichtung (2005), Victor (2005) oder Traceur (2007) auf die Idee, eine Befreiung vom traditionellen Materialismus herbeizuführen, um sich eine planetare Denkweise anzueignen.

Cosima von Bonin - Müdes Imperium oder eine schlappe Kunst?











Cosima von Bonin – The Fatigue Empire

Mit der Kölner Künstlerin Cosima von Bonin setzt Yilmaz Dziewior den Auftakt seines Ausstellungsprogramms als neuer Direktor des Kunsthaus Bregenz. Für die Künstlerin ist The Fatigue Empire die bisher umfassendste Einzelausstellung. Über drei Etagen zieht sich das „erschöpfte Imperium“, unterteilt in die drei Sequenzen THE OSWALD- , THE KIPPY- und THE HIPPIE-EMPIRE. Von Bonin ist bekannt für ihr facettenreiches Werk: Performances, Videos, Skulpturen, Objekte, Installationen bezeichnen ebenso wie das Organisieren von Musikevents und Gruppenprojekten die Ganzheit ihres Schaffens. Anfang der neunziger Jahre rückten ihre Arbeiten mit ihren konzeptuellen Bezügen, in ihrer nahen Verwandtschaft zur Minimal Art, die eingehend diskutierten Theorien zur Kontext-Kunst (Peter Weibel) ins Zentrum der Analyse. Die zweifelhaften Machtstrukturen der etablierten „Empires“ in Wirtschaft, Politik, Institutionen, Produktionen etc. wurden kritisch decodiert, aber auch voll Witz und Sinn für Komik ins Auge gefasst.

Auch im KUB kombiniert Bonin Musik, Film und eine Anzahl von Alltagsgegenständen wie Tische, Stühle, Autos, Stoffbilder, Mikrophone oder Kneipp-Wasserbecken und Plüschtiere. Letztere sitzen, lümmeln auf den diversen Objekten und lassen sich dabei vom Sound des Musikers Moritz von Oswald berieseln. Ihre statische Präsenz veranschaulicht Lethargie, Erschöpfung und Depression. Neben dieser Konzentration von Anzeichen für Teilnahmslosigkeit erscheint das im OSWALD-EMPIRE lakonisch nebenher laufende monologisierende Fernsehinterview mit dem Schriftsteller Thomas Bernhard auf den ersten Blick beinahe deplaziert. Es dokumentiert jedoch trefflich seine Sicht von Ich(s) und Außenwelt, die im Solipsismus mündet. Mit Bernhard verbindet die Künstlerin nicht nur die Liebe zur Natur, sondern auch – das Programmheft zitierend – der „kritische und psychologisch aufgeladene Blick auf das eigene (Kunst-)System“. In einem ermüdeten Imperium sind Dekadenz, Vorstellungen von Fiktionen, Lügen oder illusionistisch erzeugte Lebenswelten nur noch schwer zu kaschieren. Eigenverantwortung, Selbstverwirklichung, Erfolgsdruck und der Anspruch auf ein nicht näher definiertes Glück erzeugen in den Akteuren einer globalisierten Gesellschaft oft ein „erschöpftes Selbst“, wie es der Soziologe Alain Ehrenberg vor Jahren glaubhaft definiert hatte. Ein Szenario zur gegenwärtigen Brüchigkeit und Passivität bilden die Skulpturen und Installationen im KIPPY-EMPIRE, unter anderem http://www.i/ (2010), eine Art von Absperrung, um uns von gefährlichen Hindernissen fernzuhalten, oder die Reihe von zusammengenähten, bestickten Stoffbildern mit dem hypokritischen Titel NOTHING (2010); ein Pick-up TOYOTA REARL (2010) und parallel dazu der TOYOTA (2010), allerdings aus fragilem Karton und Klebeband konstruiert. IDLER, LEZZER, TOSSPIECE (2010) okkupiert vollends das Thema: Abgehoben auf einem Hochsitz thront ein weißgetünchter Pinocchio mit überlanger „Lügennase“. Auf der Wiener Luxusmeile Am Graben steht ebenfalls seit Kurzem eine Pinocchio-Skulptur der Künstlerin, als Zeichen für „Krisen und Verlogenheit“, um insbesondere die Geldwirtschaft im öffentlichen Raum zu reflektieren.

Im dritten Imperium, im HIPPIE-EMPIRE, wird die gespielte Fiktion schließlich vom Kontext des „realen Konsums“ abgelöst. Die Künstlerin animiert die Besucher, in der Ausstellung auf „Einkaufstour“ zu gehen und offeriert ihre Editionen.
Die kritische Darstellung und die Haltung gegenüber den allgegenwärtigen Krisen eines erschöpften Imperiums, wie Cosima von Bonin es in ihrer Ausstellung resümierend skizziert, scheinen bewusst ad absurdum geführt. Oder sollte sich die Künstlerin selbst in ihrem eigenen, allzu diskursiven Labyrinth verlieren? Der hemmungslos merkantile Charakter, der das Ende der Ausstellung bestimmt, wirkt wie ein eigendynamischer Antagonismus und projiziert rebellische Hintergedanken in den Raum: Hat die Künstlerin den Widerspruch zwischen Kunst, Kritik, Kommerz und Kapital argumentativ reflektiert – oder produziert und vermarktet sie inzwischen selbst bloß ein müdes gewordenes „Kunst-Label“ nach den Regeln des erschöpften Imperiums?